Sektion Hildesheim des
Deutschen Alpenvereins (DAV) e.V.

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Berghütten

DAV-Hildesheim

2006: Dreitausender im Ortlergebiet


Ein Bericht von Norbert Kahnt

Bericht über eine Hochtour vom 21.7. – 28.7.2006 unter der Leitung Bernhard Kaisers
vom Gamsbertl’ Norbert Kahnt

Für eine Hochtour zu Dreitausendern im Ortlergebiet hatte Bernhard, vom Ausbildungsreferat der Sektion Hildesheim im DAV, altbewährte und erfahrene Unterstützung gewonnen mit Norbert als zweitem Tourenführer, so dass wir uns in zwei Seilschaften gegen die Gefahren von Gletscherquerungen zu sichern vermochten. Seile, Pickel, Steigeisen, Eisschrauben und Gurtzeug waren selbstverständlich mit von der Partie und dank Einweisungen auf alpinem Basiskurs zuvor und auf der Tour selbst waren auch die Ungeübten rasch (wieder) mit den Sicherungsmitteln vertraut.
Da geh’ ich nun ein drittes Mal hintereinander mit Bernhard auf Tour und das ist kein Zeichen von Trägheit oder Beharrungsvermögen, sondern zeugt davon, dass Bernhard seine Touren abwechslungsreich und sorgfältig plant und Gruppen am Berg umsichtig zu führen weiß. Und so nimmt es kein Wunder, dass sich bernhardische Mitwanderer einfanden, die er empört und voll (berechtigtem) Stolz als Bergsteiger’ bezeichnen würde, Freitag nachmittags am Parkplatz zum Ende des Martelltales:

Bergziege’ Heinz, Spottzüngel’ Jürgen, Robert, Claudia ,Thierry ,Kirsten, als Neulinge kamen hinzu Susanne und Jürgen(der Motorradfahrer), so dass wir fußballmannschaftsstark nach dem leichten, gepäcklosen Aufstieg zur Zufallhütte (2265 m) ein gemeinsames Lager bezogen, um die erste Nacht gebührend schlecht zu schlafen, da plötzliche Höhe, Gruppenlagerenge und diverse Schlafkonzerte doch gewöhnungsbedürftig für die meisten…
Aber nach neun Stunden Autofahrt gleich schlafen?
I wo, vom vorzüglichen Hüttenessen und Service durch die polnische Kellnerin(Name vergessen) und Uli ,den Hüttenwirt, verwöhnt, sprachen die einen rege dem Biere oder heimischen Roten zu, die anderen tobten sich erst einmal mit dem Besteigen des Hüttenberges aus, den Vorgipfeln der Mutspitze, um dort im Abend stimmungsvoll die Wasserfälle und das Gletscherrund vor den Veneziaspitzen zu betrachten.
Der erste Wandertag führte durchs Madritschtal, allmählich und wenig spektakulär, doch schließlich steil hinauf zum Madritschjoch und von da über den Grat zur Madritschspitze. Da einige Klettereinlagen bis zum 2./3. Grad und einige ausgesetzte Stellen darin versteckt lagen, legten unsere auf Sicherheit bedachten Bergführer dreimal Fixseile, was zwar seine Zeit verbrauchte, aber ein sicheres Gefühl bei allen Kraxlern erzeugte. Wundert’s, dass uns danach Bernhard unter dem sich auf 3267 m erhebenden, leicht schwankend-windschiefen Gipfelkreuz zu Bergsteigern beförderte?
Der Blick auf Königsspitze, Ortler im gleißenden Sonnenscheine lohnte die Mühe, weniger der wegelose Abstieg übers Geröll ins Butzental, der, da die Ungestümen als Führungsgruppe klönend sich nicht am Bach längs hielten, noch ein kleines Steilhangabenteuer bereit hielt, bis wir auf dem Wanderweg zur Zufallhütte zurückkehrten.

Von der geplanten Tour auf die hintere Rotspitze riet uns der Wirt ab, der Gramsenferner sei zu aper und zerrissen. Und so sollten Butzenspitzen- und Eisseespitzenüberquerung Ersatz bieten, doch erwiesen sich Berge und Kar als reine Schutthalden, die beschwerlich zu erklimmen, und angesichts aufziehender Gewitterwolken begnügten wir uns mit der Aussicht vom Sattel zwischen den beiden Spitzen, immerhin auch über 3100 m hoch, um dem Motto der Tour treu zu bleiben.
Am Montag, dem dritten Tag, sollte der erste Höhepunkt der Tour bewältigt werden: über die Marteller Hütte auf 2610 m, den Hohenferner zur Köllkuppe auf 3330 m, von dort auf dem Grat zur Venezia-Spitze 3386 m, weiter auf dem Grat über zweite bis hinter die dritte Venezia-Spitze und auf dem Schranferner hinab zum Wanderweg.
Leider musste ich an diesem Tag aussetzen, meine Höhenanpassung ist träge, mich plagten Kopfschmerzen. So kam ich in den Genuss, aus ganz anderer Perspektive diese Tour zu verfolgen, war ich doch allmählich zum Wanderweg am Gletscherfuß und zur vorderen Rotspitze gestiegen. Von da aus waren ab Mittag vor dem azurnen Himmel scharf abgegrenzt rund 400 Meter höher wie chinesische Schattentheaterfiguren die Kletterer auf dem Grat aufgetaucht und zwei Stunden waren die Kraxler hintereinander aufgereiht zu verfolgen, wie sie sich – diesmal ohne Fixseil – an dem durchaus schwierigen und zum Teil ausgesetzten Grat erprobten.. Ein spannendes Ratespiel für den Zuschauer, welcher Schatten zu welchem Bergsteiger gehörte, – nur Asterix’ und Obelix’ Schatten waren stets eindeutig zu erkennen.
Weitere zwei Stunden Zickzackabstieg über den spaltenreichen Schranferner, von Norbert mehr die Durchgänge erahnend geführt, ließ die Gruppe abgekämpft am Gletscherfußsee stranden und den noch 2 ½ stündigen Rückweg in unterschiedlichen Tempi und Wegvarianten antreten. Bei manchem kam am Ende einer solchen 12 Stunden Tour doch der Zweifel auf, ob der inzwischen ergraute Korpus noch dem weiterhin jugendlich gebliebenem Sturm- und Drängergeist entspräche.
Der vierte Wandertag erbrachte uns nach langem Anmarsch durch das Kacheltal und die Moränenlandschaft des Langferners den steilen Aufstieg über den Gratausläufer der Eisseespitze und einen sanften Gletscheranstieg: Wir wechselten mit allem Gepäck zur Casati-Hütte, einem unwirtlichen Zweckbau, der den Wanderer mit stinkenden Abfallhaufen auf dem Gletscher und rings um die Hütte willkommnet und Tucholskys Reisequintessenz bestätigte: „Wo ich bin, ist eine Baustelle.“
Kriegsreste aller Orten zeugen vom Frontverlauf über Königsspitze, Suldenspitze, Langenferner Joch zum Cevedale hinauf. Tage später fanden wir beim Abstieg auf dem Gletscher eine frei gewordene, intakt scheinende Infanteriegeschützgranate, um die wir tunlichst einen Bogen machten.
Empfindliche Abend- und Nachtkälte erinnerte an die Höhenlage der Hütte auf 3254 Metern.

Der Mittwoch gab den zweiten Tourenhöhepunkt. Der ursprünglich vorgesehene Aufstieg auf den Monte Pasquale wurde fallengelassen, zu riskant erschien der Weg über den zerrissenen Nordgletscher, der gleich von beiden Seiten sichtbare Steinschlagfelder aufwies. Mit dem Tauwetter kommt eben der Berg in Bewegung.
So wurde die Besteigung des Monte Cevedale (3769 m) vorgezogen, dessen für den darauffolgenden Tag geplante Überquerung mit anschließendem Abstieg über den Fürkeleferner wegen des Spaltenreichtums nicht gerade ideal erschien.
Früh ging es in zwei Seilschaften los. Die lange Sonnenperiode mit häufigen (nächtlichen) Gewitterregen hatte den Gletschern des Gebietes arg zugesetzt, meist waren sie aper und arg zerrissen. In schmutzigem Blankeis präsentierte sich auch der Zufallferner. Zu überwinden waren die nur von einer löchrigen Schneebrücke überwölbte Randspalte am Fuße des Sattelsteilabsatzes und dieser steile Absatz selbst, dessen Blankeis wohl ein Gefälle von über 35° aufwies. Hier brach die zweite Seilschaft das Unternehmen ab, das Risiko, aneinander geseilt so steil hinaufzugehen, erschien zu groß. So allein gelassen, ging die erste Seilschaft auch kein weiteres Risiko ein und begnügte sich mit der herrlichen Aussicht vom Vorgipfel. Eine unsicher wirkende Schneebrücke über eine Spalte sowie der drohende Wolkenaufzug verlockten nicht, weder auf den eigentlichen Cevedalegipfel vorzulaufen noch zur Zufallspitze hinüberzusteigen. Immerhin erklommen mit dieser Tour manche von uns ihren (bisher) höchsten Punkt, über 3740 Meter!
An einem von Kirsten und Bernhard gelegten Fixseil, bei dessen Verankerung endlich auch die viel gepriesenen Eisschrauben ihren die Neulinge beeindruckenden Einsatz fanden, wurde der Steilabsatz gesichert passiert und wir traten den langen Abstieg übers Eis an, von Kirsten zuverlässig durch das Spaltenlabyrinth geführt.
Natürlich gab es Diskussionen in der Seilschaft, ob wir nicht doch noch den Berg hätten „richtig machen“ sollen(noch 20 Höhenmeter fehlten), aber die Verunsicherung darüber, wo die zweite Seilschaft abgeblieben sei, ließ diese auf Sicherheit bedachte Entscheidung am Ende gelten.
Die zweite Seilschaft verlor jedoch mittags auf der Casati-Hütte zwei ihrer Mitglieder, die enttäuscht darüber, dass keine weiteren bergsteigerischen Höhepunkte mehr zu erwarten wären, die Tour abbrachen, in anderer Seilschaft zur Schaubach-Hütte bzw. über die Zufallhütte zum Parkplatz abstiegen.
Die zum Ende der Tour avisierte Ortlerbesteigung war wegen der vom Tauwetter erzeugten Steinschlaggefahr in der Eisrinne ohnehin obsolet geworden, nun lockte sie nichts mehr.
Der alte Konflikt, wie weit die Verantwortung des Bergführers reicht und wo die Eigenverantwortung des Einzelnen beginnt, der allein weiter zu gehen gewillt ist, lässt sich eben nicht in der aktuellen Situation am Berg lösen, wäre aber sicherlich, auch von der rechtlichen Haftungsseite her, in einer ruhigen Diskussion einmal abzuwägen.
Einen sanften Ausklang bot der sechste Tag: Auf dem gewohnten Weg ging es zurück zur Zufallhütte, deren Gaumenfreuden uns nach der Kost auf der Casati-Hütte (die durchaus passabel, aber eben auch nicht mehr war) erst recht bewusst wurden. Es ward noch ein langer Weg für die, deren Knie bei Abstiegen nicht mehr so recht mitspielen wollten.
Dreie, die ab Mittag nicht an der Hütte in der Sonne faulenzen wollten, drehten noch eine nachmittägliche Runde, sausten in 1 ¾ Stunden nochmals aufs Madritschjoch. Dort gab es nicht nur Mountainbiker zu bestaunen, die mühsam ihr Rad erst von der Schaubachhütte zum Joch hochwuchteten, um es dann wieder vorsichtig ob der Steilheit ins Madritschtal hinabzuschieben. Von dort hatten wir unsere gesamte Tour noch einmal im Blick und nahmen Abschied von den Bergen.
Zum abschließenden Hüttenabend taute so manche Mauerblume auf, der Hüttenwirt spendierte Enzian und Wein, das beflügelte, ein Bergführer begann in Hexametern zu deklamieren und ein Kernsatz der Tour galt fürderhin, selbst in der Hütte: „Die Gefahr ist noch nicht vorüber, wir befinden uns immer noch in der Spaltenzone!“


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