2006: Noch ein Sommermärchen (in Südtirol)
Ein Bericht von Frank Wieltsch
Bericht über die Tour Klettern und Klettersteige für Einsteiger in der Sella-Langkofelgruppe vom 07.7. – 16.7.2006 unter der Leitung von Andreas Röder
Es sollte zwar nur eine Klettertour für Einsteiger sein, aber vorbereitet hatte ich mich schon. Nur, würde ein halbes Jahr ernsthaften Übens an den Kletterwänden in der Sporthalle, im Ith und im Harz unter der Obhut von Uli, Andreas und Claudia für einen Späteinsteiger wie mich für eine solche Tour ausreichen? Die meisten anderen Teilnehmer waren nicht nur wesentlich jünger, sondern ich hatte „richtige“ Berge bis dato nur in Form präparierter Skipisten und Wanderwege erlebt.
Zu diesen gemischten Gefühlen paßte das naßkalte Wetter bei der Ankunft im Rifugio Carlo Valentini am Sella-Joch. Statt des zur Einübung geplanten Sommerkletterns am warmen Fels in der Steinernen Stadt fanden nun nur Knotenkunde und Standplatzbauübungen an der Boulderwand in der Garage der Unterkunft statt. Wir (Andreas, Claudia, Patrick, Iris, Christoph, Renate und Dino) froren.
Am nächsten Morgen ging es dann „richtig“ los. Ich hatte es kaum erwarten können. Prompt vergaß ich meinen Helm, merkte es aber erst nach dem einstündigen Aufstieg zum Pisciadù- Klettersteig. Egal, ein Dickschädel wie ich kann sein Vorhaben auch ohne Kopfschutz wagen, oder?
Beim Aufstieg gewöhnten wir uns an den Blick in die Tiefe und genossen den Ausblick auf Kolfuschg und Corvara. Vor der Brücke, kurz vor dem Ausstieg, fing es an zu regnen und wir mußten warten, weil sich ein britischer „Naturbursche“ unbedingt beim Kopfstand fotografieren lassen wollte.
We were not amused. Der Abstieg durch das Val Setus war sehr rutschig, aber dennoch ein Erlebnis – obwohl ich ausrutschte und auf meinen Ellenbogen fiel.
Nach einem weiteren Tag mit Kletterübungen in der Steinernen Stadt, bei denen wir durch unseren „special guest“ Beate unterstützt wurden, bestiegen wir bei herrlichstem Wetter von der Langkofelscharte aus über den Oscar-Schuster-Steig den Plattkofel. Durch eine schroffe, grandiose Bergwelt, karg wie ein ferner Planet, erreichten wir nach häufig ungesicherter, etwas kitzliger Kletterei den Gipfel mit Blick über die Welt der Dolomiten.
Nach Gipfelglück, -schluck und -oberkörperstrip (Andreas) erreichten wir nach Abstieg über einen weiten Geröllhang die Plattkofel-Hütte.
Nach einer ausgiebigen Rast auf derSonnenterrasse wanderten wir über den Friedrich-August-Weg zurück. Ein langer Tag voller intensiver Eindrücke klang in gemeinsamer Runde mit Rotwein und Diskussion über unsere erste „echte“ Klettertour am nächsten Tag aus. Zuvor hatte ich noch einen respekteinflößenden Sprung über eine tiefe Spalte als für alle machbar erklärt und etwas selbstgefällig auch vor der Theke demonstriert.
Am dritten Tag unserer Klettertour waren wir dann am Ersten Sellaturm. Da wir in drei Seilschaften aufgeteilt waren, brauchten wir entsprechend lange. So stand ich etwa eine Stunde auf einem schulheftgroßen Felsvorsprung, weit unter mir ameisengroße Motorräder, die mit lautem Getöse die Paßstraße hinaufknatterten. Andächtige Stille in den Bergen? Selbst für uns notwendige Zurufe (Abstand unter 20 m!) waren nicht zu verstehen. Etwas steif geworden überließ ich schließlich generös Patrick außerplanmäßig den Vorstieg. Die Retourkutsche folgte prompt, als es mir als Erstem der Gruppe oblag, die ominöse Felsspalte zu überspringen. Es klappte! Gut für mein Ego.
Daß nach dem Gruppenbild auf dem Gipfel auch ein Abstieg folgen mußte, hätte mich eigentlich nicht überraschen dürfen. So jedoch hatte ich die Ausgesetztheit und die Steilheit des Abstiegs über den sogenannten „Normalweg“ nicht erwartet. Wieder einmal erwiesen sich Claudia und Andreas als umsichtige Gruppenführer. Sie verstanden es, aufkommende Panikattacken auf ein notwendiges Maß an Vorsicht und Konzentration zu reduzieren.
Am Mittwoch wollten wir über den Piazzetta-Steig auf den Piz Boé steigen. Sehr anspruchsvoll, stand im Führer! Der Zustieg führte uns über Blumenwiesen zum großen Terrassenband, immerhin 400 Höhenmeter! Die in den Klettersteigführern berüchtigten ersten zehn Meter meisterten wir ohne große Probleme. Wer aber geglaubt hatte, daß es danach einfacher werden würde, sah sich sehr bald getäuscht. Die etwa 150 Höhenmeter dieses Klettersteigs haben es wirklich in sich. Nach Durchquerung eines Geröllhangs erreichten wir den Gipfel. Mein erster Dreitausender! Wie auf Kommando fing es an zu regnen. Die Schutzhütte war so überfüllt, daß wir unter dem Dachvorsprung mit eingezogenem Bauch den Schauer über uns ergehen lassen mußten. Über den Geröllboden der Hochfläche wanderten wir an einigen Firnfeldern vorbei zur Seilbahnstation. Erschöpft, aber zufrieden.
Wie vereinbart reisten Iris und Christoph am Donnerstag ab. Der Rest der Truppe fuhr nach Wolkenstein ins Langental, um den Sandro-Pertini-Steig zu durchklettern. Dort staunten wir über einen Kletterer, der mitten im Klettersteig in Turnschuhen (!) und ohne Klettergurt (!) ungeduldig an uns vorbeieilte. Als steil, aber dennoch lieblich, mit großartiger Aussicht und Ausstieg auf Edelweißwiesen wird uns dieser Steig in Erinnerung bleiben. Inzwischen wurde er abgebaut, weil er unerlaubt einige Meter durch ein Naturschutzgebiet führte. Offensichtlich ist man in Südtirol bei Durchsetzung des Umweltschutzes wenig zimperlich.
Am Freitagvormittag bestiegen Dino und Renate die Marmolada, die übrigen Teilnehmer den Zweiten Sellaturm über die Kostnerverschneidung. Andreas hatte seine Kletterschuhe vergessen (grenzenloses Selbstvertrauen?), Claudia war schlecht (Rotwein?), mir fiel meine Sonnenbrille in die Schlucht (Tollpatsch?), aber Patrick (wer sonst!), der blieb vom Pech verschont. Vom Gipfel aus beobachteten wir Basejumper, die vom Piz Ciavazes sprangen. Es gibt eben Verrückte – wir stiegen brav zu Fuß ab. Schon das war aber anscheinend zu viel für mich. Ich knickte unglücklich um. Patrick behauptete, ich sei über meine eigenen Füße gestolpert (Tollpatsch!). Im Tal aber konnte ich den Fuß kaum noch bewegen, geschweige denn, selbst Auto fahren. Solidarisch verzichtete die Gruppe ohne Murren auf den geplanten Jubiläumsbesuch der Hildesheimer Hütte, der am gleichen Nachmittag angestanden hätte. Stattdessen konnte ich mich dankbar nach Hause chauffieren lassen.
Die Verletzung verheilte langsam, aber zurück bleibt die Erinnerung an ein unvergeßliches Sommermärchen.
Im Nachhinein gilt mein Dank der unermüdlichen Anleitung von Uli, Andreas und Claudia an der Kletterwand. Ohne sie hätte ich niemals an dieser Tour teilnehmen können.
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