Sektion Hildesheim des
Deutschen Alpenvereins (DAV) e.V.

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Berghütten

DAV-Hildesheim

2007: Hohe Tauern


Hochtouren und Klettersteige

Ein Bericht von Bernhard Kaiser (Tourenführer)
Erstmals plante ich eine „kombinierte Tour“ mit Hochtouren und Klettersteigen. Zu siebt machen wir uns am Freitagmorgen um 4 h auf den Weg ins osttirolische Virgental. Unsere Planung geht auf und wir erreichen ohne größere Staus gegen 14 h Ströden am Ende des Tales. Mirjam, unsere schwäbische Gastalpinistin aus Hannover, die schon Tage vorher angereist war, um sich warm zu laufen, ist nicht zu sehen. So machen wir uns mit schwerem Rucksack auf den Weg zur Essener-Rostocker-Hütte. Wir hoffen nach kurzem Anstieg, unser Gepäck mit der Materialseilbahn nach oben transportieren lassen zu können. Nach Beladung der Kiste versuchen wir ca 1 Stunde lang per Telefon die Order für das sanfte Entschweben unserer Rücksäcke an das Hüttenpersonal zu dirigieren, bis wir merken, dass das Telefon ausgebaut ist und außer ein paar abgeschnittenen Kabeln nichts mehr vorhanden ist. Jeglicher Hinweis fehlt. Wir fragen uns, ob der Lift überhaupt funktionstüchtig ist und die Hütte überhaupt geöffnet ist. Schließlich taucht auch Mirjam auf und wir machen uns ohne Gepäck auf den Weg in der Hoffnung, unser Gepäck möge auf der Hütte ankommen.
Trotz der langen Anreise steigen wir zügig 800 Höhenmeter nach oben und erreichen gegen 17 h die Hütte auf 2208 m. Wir beziehen unser Quartier. Die Frage, wann es Abendessen gibt, kann uns keiner beantworten. So gleichen wir auf der Terrasse unseren Flüssigkeitsverlust mit Radlern aus, die der bosnische Oberkellner Daniel reicht. Sein deutscher Wortschatz geht über ein „bast schoo“ nicht hinaus. Plötzlich und unerwartet ertönt der Befehl, im Innern der Hütte Essen zu fassen. Gierig und hungrig stürzen sich Jürgen Z. und Kirsten auf zwei dargereichte Teller mit Pommes und Schnitzel und schlingen das Essen hinunter. Kaum geendet, merkt Daniel, dass das Essen nicht für uns bestimmt war und anderen Gästen quasi von der Zunge abgezogen wurde. Wir anderen harren noch weitere Stunden bei Radler aus,
bis wir dann endlich unsere „Halbpension“ verabreicht bekommen. Wir lassen uns unsere gute Laune nicht verderben, bestehen allerdings auf die tägliche Abrechnung der Getränke, die Daniel mit großem Zeremoniell vornimmt. Nur so können wir das Chaos im Zaum halten.
Für den nächsten Tag haben wir uns die Besteigung der Vorderen Gubachspitze (3318m) vorgenommen. Auf steilem Moränengelände steigen wir zügig hinauf zum Umbalkees. Keese heißen in dieser Region die Gletscher. Ein mit großen und kleinen Steinen übersäter Gletscher erwartet uns. Plötzlich schießen wie aus einem Gefechtsstand Steinbrocken aus der Wand auf die vor uns gelegte Spur. In einem weiten Bogen umgehen wir auf Blankeis und um zahlreiche Spalten herum den Gefahrenherd und erreichen schließlich über Firn das Reggentörl in 3056 m. Wir genießen die schöne Aussicht und stimmen überein, dass es für den ersten Tag genug sei. Am Fixseil geht es die steile Flanke hinunter und über den schönen Simonysee, dessen reißende Ein- und Ausflüsse wir nur mit Mühe überqueren können, zurück zur Hütte.
Wir freuen uns auf das Abendessen. Es gibt Teigtaschen auf Salat, die sich kärtner Kässpatzen nennen. Leider sind sie roh und ungenießbar. Zwei Viertel Rotwein sorgen für Kompensation und die nötige Nachtruhe.
Das Ziel am nächsten Tag den Hohen Geiger zu besteigen, geben wir auf Anraten des unkoordinierten Hüttenwirtes auf, der meint, der Berg wäre unbesteigbar, und beschränken uns auf den Kleinen Maurerkeeskopf (3015m). Über Blockgelände geht es steil nach oben. Kurz vor dem Ziel fließt mit enormer Geschwindigkeit eiskalter Nebel von oben in die Flanke, vor dem wir ins lang gestreckte Tal fliehen. Eine kluge Entscheidung, kurz darauf ist der Berg „dicht“. Einige besteigen nachmittags noch den Hausberg, andere toben sich im eigentlich privaten Klettersteig aus, der einige Besonderheiten, wie eine Seilbrücke über den tosenden Wildbach, zu bieten hat.
Die Abrechnung der Halbpension am späten Abend zelebriert Daniel mit dem üblichen Chaos. Er ist sich über den Preis, der natürlich auch nicht aushängt, im Unklaren und zockt uns ab, was wir uns in bierseliger Stimmung dummerweise gefallen lassen.

Nach drei Tagen „Essener-Rostocker“ steht der Umzug über den Schweriner Höhenweg über das Türmljoch zur Johannishütte an. Es kann nur besser werden. Und es wird besser. Ein echter Highlight ist der am Weg liegende Türmlklettersteig, den wir uns nicht entgehen lassen.

Ohne Gepäck, kurz und knackig geht es sehr ausgesetzt an häufig überhängenden Felsen nach oben. Alle sind begeistert. Die neue, wohl organisierte Johannishütte auf 2121m empfängt uns mit Ordnung und Kompetenz. Alles ist wunderbar, besonders angetan sind einige von der hübschen kellnerden Ethnologin Judith, die besonders am letzten Abend Gelegenheit hatte, an fremden Stämmen in betrunkenem Zustand Studien vorzunehmen.
Am Dienstag steigen wir auf schönem, ausgesetztem Weg über die Sajatscharte zunächst zur neuen Sajathütte (2500m). Wir sind gut „beieinander“ und erreichen die Hütte in Rekordzeit. Vor dem Klettersteig Rote Saile wollen wir ein zweites Frühstück einnehmen, um dann wieder zur Johannishütte zurückzukehren. Es sollte anders kommen. Plötzlich verdunkelt sich der Äther, Blitze zucken, Donnersalven erschüttern die Hütte, es hagelt, regnet und schneit.
Die nicht hässliche, freundliche Bedienung sieht es gelassen: „ So bleibt doch noch a bissl hier heroben bei mir auf der Hütten!“ Das tun wir denn auch und sorgen für Konsumation und reichlich Umsatz. Kirsten und Jürgen R. vergnügen sich derweil an der hütteneigenen Kletterwand, während draußen die Welt unterzugehen scheint. Der Weg über die Scharte scheint ausgeschlossen. In einem lichten Augenblick befiehlt der Führer den Notabstieg nach Bichl. Wir fliegen die 1300 Höhenmeter in 1,5 h ins Tal.
Dort erwartet uns Ady’s Treff, ein kultureller Highlight mit Filmen aus den 50er Jahren auf Großbildleinwand. Nach einem Bier müssen wir Abschied nehmen, das Hüttentaxi bringt uns hinauf zur Johannishütte. Wir haben den Tag mit gewaltigen Natureindrücken überlebt.
Am nächsten Tag steigen wir bei schönem, aber eiskaltem Wetter zum Defreggerhaus (2926m) hinauf. Das Blankeis auf den Gletschern, auf denen zahlreiche Spalten lauern, ist mit Neuschnee bedeckt. Wir erkunden die Gegend und wollen eigentlich die Kristallwand besteigen. Nach kurzer Beratung scheint die Spaltengefahr unkalkulierbar und wir führen kurzerhand eine kleine Gletscherausbildung durch. Spaltenbergung, Setzen von Eisschrauben und Firnanker sind die Übungsinhalte. Jürgen Z. und Hoinz wundern sich trotz ihrer überschüssigen Kräfte, dass sie den als Firnanker vergrabenen Pickel nicht herausreißen können. Man nimmt noch die Aufstiegsspur zum Großvenediger (3674m) in Augenschein und ist sich sicher, diesen am nächsten Tag zu besteigen. Das Wetter ist wunderbar. Horden von Menschen entern das Defreggerhaus. Profibergführer suchen Kunden für den nächsten Tag und erzählen bei reichlicher Konsumation von Obstlern Schauergeschichten. Das Haus ist überbelegt und trotzdem hat die Belegschaft alles im Griff-Kompliment! Wir schlafen ganz oben mit 60 anderen Menschen auf dem Spitzboden. Nachts um zwei ist die Luft derart stickig, dass man kaum atmen kann. So muss man sich auf dem Everest fühlen, könnte man glauben. Früh um fünf geht das Gewusel los. Wir wollen uns antizyklisch verhalten und den ersten Schwung von Gipfelhungrigen erst einmal passieren lassen. Bergführer mit langen Stangen nehmen teilweise 10 Personen mit dürftiger Ausrüstung ins Seil, um sie auf den Gipfel ihrer Sehnsüchte zu schleifen. Wir erwischen eine Lücke und gehen in Rekordzeit auf den Gipfel. Wir sind eben inzwischen richtig gut drauf. Auf dem schmalen, formschönen , ausgesetzten Firngrat streben wir dem Gipfel zu, der mit mindestens 60 Menschen belagert ist, so dass man fürchten muss, dort gar keinen Platz mehr zu finden. Doch nach einiger Zeit leert sich der Platz, die Meute torkelt am Seil des Bergführers auf unsicheren Beinen über den Grat nach unten. Wir genießen das Panorama und freuen uns einen überwältigenden Abschluss unserer Tour erleben zu dürfen. Hoinz eilt voraus und empfängt uns mit einem Schnaps-gute Idee, danke. Wir steigen vom Defreggerhaus zur Johannishütte ab, alle Dämme brechen, freier Galopp ins Tal, Jürgen Z. und Gamsbertl Norbert überwinden die 800 Höhenmeter trotz Belastung des Seils in einer Stunde. Dort erleben wir unseren schon traditionell feucht-fröhlichen Abschlussabend. Alle sind glücklich.

Ich danke meiner Coführerin Kirsten Krok, die umsichtig und kompetent eine Seilschaft sicher geführt hat. Außerdem danke ich den Teilnehmern Jürgen Zingel., Heinz Nitzschke, Robert Neumann, Norbert Kahnt, Jürgen Ruberg und Mirjam Rieker für die harmonische Bergwoche.


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