Sektion Hildesheim des
Deutschen Alpenvereins (DAV) e.V.

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Berghütten

DAV-Hildesheim

2009: Vom Geislergebiet zum Sellastock


Auf Klettersteigen in den Dolomiten der Puez – und Sellagruppe

Tief ist’s nur von oben…

wenn man runterguckt.

Die alljährlichen, von Bernhard Kaiser ausgearbeiteten und geführten Touren sind vieles, anstrengend, aussichts- und abwechslungsreich, immer gut für Überraschungen und mannigfaltige Gelegenheiten, die eigenen Grenzen zu erkunden und hinauszuschieben.
So auch die diesjährige Hüttenwanderung und Klettersteigtour, die uns vom 24.7. bis 31.7. 2009 von St. Christina im südtiroler Grödner Tal über Regensburger Hütte, Puez-Hütte, Grödner Joch zur Pisciadù-Hütte und zur Kostner-Hütte nach Corvara führte.
Wir werden gesetzter, der noch vornehmen Umschreibung fürs alt werden: Also ging es am Anreisetag bequem mit der Gondelbahn rund 700 Meter hinauf zum Col Raiser (2107 m), wo Bertl die fünf Wandersleut, die die weite Anfahrt am heißen Tage, eingepfercht in einem Auto doch gezeichnet hatte, herzlich begrüßte, denn er war schon locker von Wolkenstein am Mittag aufgestiegen. Auf einem halbstündigen Spaziergang zur Hütte (2037 m) versuchten wir, uns im zulaufenden Tal mit seinen zerfurchten Felstürmen erst einmal zu orientieren, was sich für den Erstbesucher als gar nicht so leicht erwies. Aber mit Hilfe von Sonne, Uhr, Karte, Teamarbeit und fragendem Mundwerk ließ sich das erste Klettersteigziel, der Sass Rigais schnell ermitteln, ebenso die Pizza-Scharte und die Sieles-Scharte, die den Durchstieg am darauffolgenden Tage ermöglichen sollten.
Wiedersehensfreude mit altbewährten Bergkameraden und neugieriges Beschnuppern der Neuen füllten den Abend, die erste Hüttennacht ist erfahrungsgemäß wenig mit Schlaf gesegnet. Man muss sich erst einmal wieder einruckeln im knarrenden, durchhängenden Bett, in der Enge des Schlafsackes und mit Mief und Schnarchkonzert klarkommen: ein langes Jahr lang domestiziert und kultiviert überwölbt hat das Ursprüngliche plötzlich wieder Ausgang.Am nächsten Tag spielten wir noch immer eine Version von den zehn kleinen Negerlein durch, von Neunen waren nur sieben auf der Hütte angekommen, dafür waren nur sechs nach der ersten Nacht bergfähig.
Diese machten sich auf zu Überschreitung des Sass Rigais (3025 m) bei herrlichstem Sonnenwetter, schlenderten über grüne Matten bergauf, schwitzten sich ins Salieres Kar hinauf, rödelten das Klettersteigset an und kletterten über Schrofengestein bis zur ersten durchgängigen Sicherung hinan: der Ostanstieg, angenehm unterbrochen durch frei gangbare Schrofenkletterstellen, die Ausblicke und Verschnaufen ermöglichen. Natürlich war an solch schönem Tag und einem Samstag ordentlich Betrieb im Steig, auf dem Gipfel wurde es eng. Ein neues, gerade hinaufgeschafftes Gipfelbuch ziert nunmehr den DAV-Hildesheim-Eintrag und oben hätte der Chronist wohl bis zur Dämmerung sitzen und schauen mögen: Hinüber zum vergletscherten Alpenhauptkamm der Zillertaler, weit nach Osten bis zu den drei Zinnen, hinüber zum Sassongher und voraus zum nächsten Ziel, der Sellagruppe im Süden.
Ein Klettersteigabstieg war für manche eine neue Erfahrung und dazu mit zahlreichem Gegenverkehr derjenigen, die zur Mittagszeit von Westen den Berg angingen. Zwei uns recht leichsinnig erscheinende junge Frauen, sichtlich nicht gerade bergerfahren, kamen uns ohne jegliche Klettersteigausrüstung mit Turnschuhen entgegen. Weite Schrofengeländepassagen verführten einige unserer Gruppe dazu, ihr Rödelzeug bereits abzulegen. Doch als Überraschung hielt der Abstieg noch einen Steilabsatz bereit, bei dem es gut tat, das Gurtzeug und die Karabiner zur Hand zu wissen. Nach 3 1/2 Stunden Auf- und drei Stunden Abstieg waren alle geschafft und mit dem ersten Tag, einem Klettersteig zum Eingewöhnen in der Kategorie C2/3, zufrieden, sonnten sich auf den Matten, strebten endlich dem Biere und dem reichhaltigen Abendmenü entgegen.Inzwischen waren auch unsere beiden vermissten Ratzeburger, die ein Autoschaden aufhielt, auf der Hütte eingetroffen.
Am Sonntagmorgen – nunmehr mit kompletter Mann- u. Frauschaft – dem wochenendlichen Hüttengedrängel mit dem Stoßseufzer: „Einsamkeit, wie bist du übervölkert!“ entronnen, erfolgte ein lang sich hinziehender Aufstieg im Frühsonnenglast je nach individuellen Kräften und Nachtverbringungen, wir sammelten uns auf der Sieles Scharte zur verdienten Frühstückspause in der Sonnenwärme mit Blick ins Langental, stiegen anschließend entlang den Puezhängen auf dem Dolomitenhöhenweg mitten im Sonntagsgewimmel zur Puezhütte (2475 m) hinüber, die uns frugaler empfing, was Verpflegung und Betten anbetraf: in der dritten Etage musste man recht seefest sein.
Ein Nachmittagsbergansturm artete zum Bummel aus, statt der Puezspitze wurde der rund 200 Meter kleinere Puezkopf (2725) gewählt, um, – wie sollte es anders möglich sein – auf dem Gipfel ein paar vertraut-heimatlich sprechende Thüringer anzutreffen, die uns sogleich neugierig „betraschten“.
Ein faszinierender Rundblick belohnte die Mühe.
Abends gab Jürgen seinen Abschiedschnaps aus, sein Knie meckerte und flehte um Abbruch der Tour. Da warens am nächsten Morgen nur noch acht…
Der Montag hielt einen langen Ritt bei heißem Wetter für uns bereit: Aufstieg zum einen schönen Rundblick auf die Tour ermöglichenden Ciampei – Sattel, dabei sahen wir Jürgen mit seinem Hinkebein mühsam bergab ins Langental nach Wolkenstein stokeln, immer kleiner werdend entschwinden. Von da zur Cier-Scharte und auf schmalem, steilen Steig mit ununterbrochen bergauf strömendem Gegenverkehr vom Grödner Joch hinauf zum selbigen absteigend. Eigentlich sollten sich unsere Kräfte an den Cierspitzen (Klettersteig) erproben, doch bis auf Heinz, der sich leicht maulend fügte, reichte es allen, den Hüttenwechsel zur Pisciadu noch hinzukriegen, denn uns erwartete noch ein Steilaufstieg durchs Kar von 460 Metern. Zu Übungszwecken für unsere beiden Klettersteiganfänger legten wir an der gesicherten Stelle das Klettersteigset an, was z.T. leichten Unmut bei den in großen Pulks entgegenkommenden Absteigenden erzeugte, waren wir doch ihnen damit nicht schnell genug. Mit Kleinkind und Kegel, Turn- und Halbschuhen kamen sie uns entgegen. Mir erscheint es ein Wunder, dass dabei so wenig im Jahr passiert…
Ein Getrubel empfängt uns auf der Hütte. Der Sanitär- u. Duschbereich wird belagert. Nur Heinz weiß wieder für sich Rat, springt, noch vom Aufstieg in Wallungen, in den wohl vier Grad kalten Hüttensee. Es zischt! „Ja, ja, die jungen Großväter von heute mit ihren 63 Jahren…!“
Ein freundlicher, straff geführter Familienbetrieb auf der Pisciadu-Hütte sorgt mit Abendmenü und Frühstücksbüfett für leibliches Wohlbefinden, nur die durchhängenden Betten waren eine Qual.
Morgendlicher Gewitterregen verhalf uns zu einem gemütlicheren Tagesanfang, so zogen wir erst gegen neune los, um den Brunecker Turm auf dem Eisenwege zurück zur Hütte zu erklettern. Was gestern mühsam bergauf geschafft wurde, rutschen wir jetzt zügig zu Tale, umgingen den Block nach Osten und standen im Einstieg des Klettersteiges in einer Schlange: vor uns eine vom Parkplatz heraufgestiegene große Gruppe Jugendlicher, die offensichtlich ihre erste Klettersteigtour beging, so langsam und unsicher da manche vergebens nach Tritten und Griffen suchten. Da hatten sie sich gleich einen für Anfänger recht schweren Brocken (C3/4), wenn auch ob seiner Luftigkeit und weiten Aussicht ins Tal sehr lohnenden Steig ausgesucht. „Stau auf dem Klettersteig“, hätte der örtliche Rundfunk den Tag über melden können.

Es ermüdete, immer wieder warten zu müssen, immer wieder aus der Dynamik des Kletterrhythmus nach zwei-drei Seillängen erneut ins Stehen, vielfach auf schmalstem Tritt verbannt zu werden. Nur unsere Fotographen freute es, sie klinkten sich mittels Bandschlinge und Karabiner ein, hingen also so rum, und hatten die Hände frei, um Motive auszuwählen.
So zog sich diese schöne Kletterei endlos in die Länge, nach zwei Stunden war endlich der Übergang zum Turm erreicht, der Steig führt dann nahezu senkrecht auch mittels Leiter in die Turmflanke zur berühmten Brücke. Da diese Passage erneut einen langen Rückstau erzeugte, es schien gar nicht mehr weiterzugehen, entschieden sich drei von uns, hier es genug sein zu lassen, stiegen aus und hinauf zur Hütte, sahen die anderen aber noch, den „Berchführer“ an seiner charakteristischen gestreckten Langarmhaltung gut erkennbar vorneweg, bis zur Brücke hinaufkletternd zu. Bei der Hütte zum ersten Bier trafen alle wieder zusammen mit der einhelligen Meinung, es habe sich gelohnt! So viel Lüftung hält keiner unserer Alltage bereit!! Ein wolkenreich durchbrochener Abendrothimmel ließ den Tag ausklingen.

Am Mittwoch ging es wieder mit allem Gepäck beladen los, ein mühsamer Morgensonnenaufstieg zum Sattel südlich des Pisciadu am Ende des Val de Tita, von da in eine Art zerklüftete Mondlandschaftebene hinein zum Rifugio Boe. Dort empfing uns Trubel, denn vom Sass Pordoi, den eine Gondelbahn erschließt, scheint es nur einen Katzensprung zu sein. Hier trennten sich für zwei Stunden unsere Wege, die einen stiegen direkt die Boe-Lehne querend zum Sattel hinauf, die unentwegten reihten sich in den Ameisenreigen, der den Piz Boe (3152 m) hinauf- und hinunterstrebte, ein, um oben ebenso verwirrt in einem lagernden Menschenmassenpulk zu landen. So hielt uns da nichts, beschaulicher Gipfelblick in die Runde dürfte hier erst morgens zum Sonnenaufgang möglich sein.
Nach einigen Orientierungsproblemen fanden wir den rechten Steig auf luftigem Grad hinüber und hinunter zu dem schon in der Scharte wartenden Rest unserer Gruppe, ein langer, abwechslungsreicher 500 Meter-Abstieg auf dem Weg 672 z.T mit leichten Schrofenkletterpartien und zum Abschluss mit einem leichten Klettersteig brachte uns mit müden Füßen zur privaten Kostner-Hütte (2500 m).
Die Hütte ist überbelegt, viele klettersteigversessene Jugendliche, die die beiden umliegenden Vallon- u. Piz da Lec-Steige locken, füllen das kleine, saubere Haus.
„Wo ich bin, ist eine Baustelle!“ Dieser Seufzer vom reisenden Tucholsky passte auch hier wieder, Bagger und Materialseilbahn waren im Einsatz, um neben einer Baugrube einen Kran aufzurichten, der beim Bau eines Wasserreservoirs helfen soll. Die Hütte will sich gegen den spätsommerlichen Wassermangel wappnen. Auch eine Folge des Klimawandels.
Aber freundlichste Hüttenbewirtung und Gästeumsorgung, ein Fünfgängemenü und richtige, stabile Betten gleichen den Nachteil aus.
Der nächste Tag sollte die Steigerung und den Höhepunkt der Tour bringen, den Piz da Lec-Klettersteig auf den Boeseekofel (2911 m). Hier musste der Chronist passen, hatte er die Nacht auf dem Notlager im Flur verbracht und im Luftzug gelegen, was den Kopf schmerzen ließ.
Dafür holten die Ruhetägler unseren neunten Mann ab, der mit beruhigtem Knie erneut, bergsüchtig wie er ist, per Sessellift zu uns aufschloss, um den recht schweren und anstrengenden Steig mit zu begehen.
Und damit kommt der Co-Chronist zum Zuge, der die wunderschöne Bergwelt einige Tage aus der Talperspektive betrachten musste bzw. konnte und den es nicht länger, obwohl kniegeplagt, hielt: die letzte Bergaktivität mit anschließendem und abschließenden legendären Hüttenabend, ein Muss sondergleichen!
Der Boeseekofel-Klettersteig (Ferrata Piz da Lec) war im Vorfeld von solchen Bergexperten, die ihn bereits bewältigt haben, als recht leicht oder recht schwierig mit entsprechenden unterschiedlichen Zeitangaben versehen klassifiziert worden. Das Kaliber des Steigs wurde uns schon nach der ersten Passage deutlich: steil und nicht immer mit sofort erkennbaren
Tritten und Haltepunkten schnauften wir hoch und spürten recht bald die Grenzen unserer körperlichen Verfasstheit. Und so sollte es auch während der gesamten Passage bleiben… Gelang es uns, einen sicheren Standplatz für eine kurze Pause zu finden, waren es nicht alleine unsere Finger, die vor Anstrengung zitterten. Weitere teilweise ausgesetzte Passagen erforderten unsere gesamte Konzentration, der Blick galt der Route, weniger dem atemberaubenden Panorama hoch über der Kostner-Hütte vor der Marmolada, der Civetta, dem Pelm, dem Antelao und und und
Als der von Bernhard angekündigte Abschluss des Klettersteigs, zwei hoch aufragende Leitern, noch nicht in Sicht war, überholten uns behände zwei junge Frauen, deren Klettertechnik und -vermögen (zumal angesichts durchaus barocker Gesäßformen) staunen ließen sowie unsere eigene Leistung, nun ja, schmälerten. Sei’s drum, nach etwa 1,5 Stunden Kletterei hatten wir die Leitern erreicht, die für sich genommen hoch aufragend keine besonderen Schwierigkeiten bedeuteten, alleine der Ausstieg und Umstieg in den durch Trittstufen gesicherten Felsenabschnitt brachte, da überhängend, so manche große Schwierigkeit und Verzögerung für unsere tapfere Gruppe mit sich.
Der restliche Weg zum Gipfel des Boeseekofel (2911m) war gegenüber den Anforderungen des Klettersteiges sehr leicht und angenehm. Aufziehende Wolkenfronten, ein Gewitter war für den Nachmittag angekündigt, sorgten für ein recht kurzes Gipfelerlebnis und einen recht schnellen Abstieg über den Weg 646, der nur noch einmal in einer weiteren Leiterpassage die Klettersteigausrüstung zum Einsatz kommen ließ.
An der Kostner-Hütte angekommen, sehr zufrieden über das Erlebte und Erreichte, waren wir uns über die Qualität des Klettersteiges einig: der war „knackig“ und hatte auch Erfahrenen (Norddeutschen wie uns) viel abverlangt!
Abends wetterleuchtete es ringsum gewittrig. Eine würdige Abschiedsvorstellung vom Atmosphärengott. Drinnen gab es diverse Abschiedsschnäpse, doch angesichts der weiten Rückfahrt am nächsten Tag verlief es recht friedlich.Der Abfahrtstag begann mit einem einstündigen Abstieg zur Gondelbahnbergstation auf ca. 2000 Metern, dann schwebten wir von den Bergen Abschied nehmend zu Tale, stiegen in einen Kleinbus um, der uns übers Grödner Joch zurück zu den Autos in Wolkenstein und St. Christina brachte. Neun Stunden Autofahrt waren dann ein ermüdender Abschluss für eine rundum gelungen konzipierte, abwechslungsreiche, sich in ihren Anforderungen steigernde Tour. Und so manche(r) ist dabei über ihre / seine bisherige Grenze hinausgewachsen.

Mit von der Partie waren:
Achim, Antje, Bernhard, Christian, Heinz, Jürgen, Norbert, und aus den Ratzeburger Mountains Günter und Karla.
Autoren: Norbert Gamsbertl Kahnt und Koautor Jürgen Zingel
Fotos: Bernhard Kaiser und Jürgen Zingel


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