2011: Hochtour im Wallis
Sektionsfahrt in das Wallis 2011
Eigentlich sollte es nur eine Eingehtour für das Mont Blanc Massiv geplant – doch dann machte das Wetter einen Strich durch diese Planung. Warum die Tourenwoche dennoch für alle Beteiligten ein Genuss wurde, lesen Sie im nachstehenden Bericht.
Donnerstag, 7.07.2011
Bei herrlichem Sommerwetter trudeln alle wie verabredet an der Felskinnbahn ein: Jo und Sohn Niklas warten als erste an der Bahn, ich treffe mit Sara als nächstes ein und schließlich kommen noch Andreas und Christian („Krickel“) den kurzen Anstieg zu Bahnstation herauf. Die Bahn spuckt uns auf 2.989m aus und wirft uns in einen eisigen Wind. Nach kurzem Mannschaftsfoto (für den Vorher-Nachher-Effekt) stapfen wir in 40 Minuten durch weichen Firn zur Britanniahütte. Die Wirtin empfängt uns sehr nett, die Hütte hatte ich gar nicht so schön in Erinnerung. Der Wetterbericht macht uns zu schaffen, es ist schlechtes Wetter vorhergesagt.
Freitag, 8.07.2011
Fröhliches Wecken um 3:50 Uhr. Frühstück und ab zum Anrödeln – in der Hütte, denn draußen nieselt es Eiskristalle. Um 4:30 Uhr sind wir abmarschbereit, treten vor die Hütte und werden von einem Blitz und einem gewaltigen Donner empfangen. Also wieder rein, raus aus den Gurten und nochmal in die Hüttenstube zum zweiten Kaffee. Um 5 Uhr kehrt der Bergführer patschnass zurück, der mit seiner Gruppe gleich nach dem Wecken ohne Frühstück aufgebrochen war: „Der Grat hat uns mit Funken empfangen…“. Zum Glück ist ja der Kaffee auf der Hütte nicht zum Wachhalten geeignet, also legen wir uns wieder ins Lager. Um 9:30 halten wir es nicht mehr aus und brechen um 10 Uhr zum Gletscher auf, wo wir alle möglichen (und unmöglichen) Formen der Spaltenbergung ausprobieren. Um 14 Uhr kehren wir zur Hütte zurück. Am Nachmittag poltern Steine auf den Weg von der Bergstation der Felskinnbahn zur Britanniahütte, der Weg wird gesperrt. Wetterbericht für morgen recht gut, sonnig und am Nachmittag Quellwolken, nur geringe Gewitterneigung.
Sonnabend, 9.07.2011
Zweiter Anlauf. Um 4:45 starten wir von der Hütte unter sternklarem Himmel. Doch der bezieht sich schnell, wir gehen in einem ständigen Wechsel zwischen Wolken und Nebelschwaden. Manchmal reißt es etwas auf, was bei der Orientierung hilft. Der Firn ist jetzt fest und wir kommen gut voran hinunter zum Gletscher und in weitem Bogen über diesen zum Einstieg in den Hohlaubgrat. Den ersten blockigen Gratabschnitt bringen wir schnell hinter uns, doch dann wird es mühsam. Der Schnee ist hier total sulzig, je höher wir kommen, umso matschiger wird es. So geht es praktisch bis zur oberen Felsstufe auf 3.900 m. Bei jedem Schritt breche ich bis zu den Knien in den Schnee ein und schwöre mir strengste Diätdisziplin im nächsten Winter. Andreas löst mich im oberen Teil ein gutes Stück beim Spuren ab, bis ich dann oben wieder übernehme. Der Grat könnte wunderschön sein – aber im Nebel sieht man nix und der Schneematsch zermürbt. Die Felsstufe auf 3900m ist super gesichert mit Bohrhaken. Der Weg ist etwas verwurschtelt, so dass ich oft Stand machen muss, um alle nachzuholen, sonst hätten wir uns sicher im Zick-zack verknotet.
Nach dem Felsriegel geht es noch ca. 30m steil hinauf und plötzlich stehen wir auf dem Vorgipfel und haben freie Sicht. In 5 Minuten gehen wir über den Firngrat nur ganz leicht ansteigend hinüber zum Gipfel des Allalinhorns (4.027m), den wir um 11:45 Uhr erreichen. Der matschige Hohlaubgrat hatte wahnsinnig viel Zeit gekostet.
Nach kurzer Gipfelrast machen wir uns um 12:15 Uhr an den Abstieg. Wir haben noch einen weiten Weg, denn wir müssen zunächst zu MetroAlpin absteigen, mit der Bahn nach Saas Fee fahren, mit den Autos nach Saas Grund, von dort mit der Bahn auf der anderen Seite wieder hoch bis Hohsaas und dann hinab zur Weissmieshütte.
Wir drehen die Seilschaft um und Jo zieht die ganze Truppe mit wachsender Geschwindigkeit den Firnhang hinunter. Da sind tatsächlich noch jede Menge Leute im Aufstieg, die mit der Bahn von Saas Fee gekommen sind und ohne Hütte mal schnell einen 4000er machen möchten. Schon merkwürdig – wir schütteln innerlich den Kopf über diese Gipfelabhaker und die werden wahrscheinlich denken, was sind das denn für Bekloppte, die da geradeaus durch den Firn den Berg runter rennen und sich dabei kaputt lachen? Jo kennt jedenfalls keine Gnade und erhöht das Tempo, Sara, Niklas und Christian reißt es dabei immer mal wieder von den Beinen, die Wasseraufnahmefähigkeit der Hosen wird gefordert.
Aber das Tempo lohnt sich. In nur 55 Minuten sind wir vom Gipfel zur Bahnstation gerannt. 14:15 in Saas Fee, wo wir uns kurz trennen und mit den Autos weiterfahren. 15:30 Treffen am Parkplatz der Bahn und kurz vor 16:00 Uhr mit der Bahn zur Hohsaas. Um 16:30 starten wir von der Bergstation im leichten Nieselregen den Abstieg zur Weissmieshütte. Dort treffen wir um 17:25 Uhr ein – viel Betrieb und gutes Essen.
Sonntag, 10.07.2011
Heute stottert der Motor, das war gestern ein gewaltiger Ritt, der Kaltstart dauert etwas. Erst um 5:15 Uhr verlassen wir die Hütte und hatschen erst mal lange durch Geröll- und Blockfelder. Ein hartes Firnfeld schließt sich an, dann wenden wir uns nach links und steigen durch unschwieriges Blockgelände zum eigentlichen Grat hinauf. Der Grat ist ebenfalls leicht, angenehme Kletterei (I), nur eine Stelle fordert richtiges Klettern. Dann erreichen wir die Firnflanke. 40°, einige Stellen vielleicht auch 45°. Hier merken wir die Anstrengung von gestern, das Tempo ist nicht gerade hoch, aber wir haben Superwetter mit einem fantastischen Panorama. Und der Firn ist richtig hart, wir gehen in Steigeisen – wenn das gestern doch auch so gewesen wäre.
Um 11:00 Uhr erreichen wir den Gipfel des Lagginhorns (4.010m). Die herrliche Aussicht verleitet uns zu einer wahren Fotografierorgie und einer ausgiebigen Gipfelrast. Gegen 11:45 Uhr verlassen wir den Gipfel wieder in umgedrehter Seilschaft. Diesmal zwingen uns die Steilheit des Geländes und der langsam weicher werdende Firn zur Vorsicht. Über Allalin, Alphubel und Dom naht schon das für den Abend angekündigte schlechte Wetter. Im letzten Steilstück geraten wir noch in einen kurzen Eisregen, bevor wir um 13:00 Uhr den Blockgrat wieder erreichen. Dann kommen wir trocken durch die Felsen auf den kleinen Gletscher.
Heute Morgen hatten wir eine abzweigende Spur gesehen – über die müssten wir doch direkt ohne großen Höhenverlust und langen Wiederaufstieg zur Hohsaashütte kommen. Nach vielleicht 1,5 km erreichen wir wieder Felsen und müssen feststellen, dass wir uns getäuscht haben: Der Weg führt durch die Felsen und lockeren Schutt steil hinab, danach geht es durch Schutt und Felsen wieder steil hinauf und in einem großen Bogen über den Gletscherrand zum Hüttenzustieg. Dafür sind uns unsere Knie zu schade, also zurück. Wir finden noch eine Abkürzung durch eine Firnrinne, die Sara ganz ohne Benutzung der Füße als schnellste bewältigt. Das trocknet schnell im wieder auffrischenden Wind. Auf dem Aufstiegsweg weiter hinunter. Kurz vor der Weissmieshütte wenden wir uns nach links und kürzen durch blockiges Gelände noch einmal ab zum Normalweg, der uns dann zur Hohsaashütte führt, die wir beim ersten Regen um 17:00 Uhr erreichen.
Die private Hütte (der Neubau liegt keine 100m von der Seilbahnstation) hat schon fast Hotelcharakter. Wir haben ein tolles 6er Zimmer für unsere Gruppe. Das Abendessen ist sehr gut, wir kniffeln danach und schauen durch die großen Panoramafenster dem starken Regen zu. Wir beschließen angesichts des schlechten Wetterberichts für morgen einen Wellnesstag in Saas Almagell einzulegen und bestellen unser Frühstück für 7:00 Uhr. Danach soll es dann ja nach Chamonix gehen, wo Martin und Catharina schon warten.
Montag, 11.07.2011
Nach gutem Schlaf kommen wir sogar erst um 8:00 zum Frühstück – und blicken staunend aus den Panoramafenstern in einen strahlend blauen Himmel. Bestes Bergwetter und wir sitzen auf der Hütte und schauen der Karawane zur Weissmies hinterher. Sei’s drum, wir fahren um 9:15 Uhr gut gesättigt mit der Bahn hinunter und begeben uns zu Krickels Geheimtipp: Hotel Alpenhof in Saas Almagell. Die nettesten Wirtsleute des ganzen Tals bieten schöne Doppelzimmer mit Dusche und Balkon sowie eine Spitzenküche für 82 Franken pro Person (Halbpension). Dieses Basislager sei allen ans Herz gelegt – ein besseres dürfte man nur schwer für diesen Preis finden können.
Die Wirtin empfiehlt uns den Erlebnispfad und schenkt uns Gästetickets, mit denen wir kostenlos den Sessellift zum Furggstalden nutzen können. Der Erlebnispfad bietet eine tolle Wanderung über seilgesicherte Steige und Hängebrücken (dank der Seilnetze an den Steilstellen und Brücken kann man das auch gefahrlos mit Kindern gehen). Auf der Almageller Alp gönnen wir uns ein Radler und genießen die Sonne und das wilde Hochtal. Um 15:00 Uhr sind wir zurück und ich beschäftige mich mit dem Wetterbericht. Für morgen wird ein schöner Tag vorausgesagt, doch dann kommt eine Schlechtwetterfront, es soll drei Tage schlecht werden mit Neuschnee in der Höhe. Danach ein kurzes Wetterfenster von 1,5 bis 2 Tagen. Das würde für den Mont Blanc kaum reichen, zumal wenn es vorher drei Tage geschneit hat.
Dank Internetzugang wird relativ schnell klar: Der Schlechtwettereinbruch wird die gesamte Alpenregion treffen. Der bewährte Trick, nach Italien zu fahren, wird auch nicht funktionieren. Nach einigen Telefonaten mit Martin, Gesprächen mit der Gruppe entschließen wir uns gemeinsam, die Mont Blanc Tour abzublasen. Stattdessen werde wir Krickel nicht heute Abend verabschieden, sondern morgen zusammen den letzten schönen Tag nutzen und auf die Weissmies gehen.
Wir hatten um ein Thermofrühstück gebeten, damit wir die erste Seilbahn um 7:30 erreichen könnten. Aber „das kommt nicht in Frage“, sagte der Wirt. Er gab abends noch dem Bäcker Bescheid, dass er die Brötchen früher braucht, und ist extra für uns früher aufgestanden, so dass wir ein üppiges Hotelfrühstück mit frischen Brötchen um 6:00 Uhr bekommen. Wieder mit Freikarten ausgestattet, nehmen wir die erste Bahn zur Hohsaas. Oben kurzer Zustieg zum Gletscher, anseilen und um 8:30 geht es schließlich auf den Gletscher.
Es wird ein Gipfeltag, wie er im Buch steht. Strahlender Sonnenschein, blauer Himmel, gute Fernsicht, harter Firn – und mittlerweile sind wir so gut akklimatisiert, das der Aufstieg wie im Flug vergeht. Um 11:45 Uhr stehen wir auf dem Gipfel der Weissmies (4.017m), von dem wir uns eine Stunde lang nicht trennen können. Selbst die Wolken am Horizont lassen einen kaum glauben, was der Wetterbericht angekündigt hat. Nach einem ebenso genussvollen Abstieg mit atemberaubenden Einblicken in gähnende Spalten erreichen wir um 14:00 Uhr schon wieder die Bahnstation. Im Hotel geht’s erst mal unter die Duschen und dann ab auf die Terrasse, wo wir in strahlender Sonne die Radlervorräte dezimieren. Wir nehmen Abschied – und dafür gibt es am Abend gibt es zur Feier eines Gästejubiläums im Hotel Fondue – genial!
Am nächsten Morgen schüttet es wie aus Kübeln. Die Woche war eigentlich als Eingehtour für den Mont Blanc gedacht, der nun leider ausfallen muss. So war das also plötzlich unsere Haupttour – und sie war beeindruckend. Drei Gipfel haben wir bestiegen, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegen und auch in der Höhe sich nur um weniger als 20m unterscheiden. Und jeder Gipfel war völlig anders: Die Schwerstarbeit durch den Nebel im sulzigen Schneematsch auf das Allalin, die Block- und Firnkletterei auf das Lagginhorn und schließlich die klassische Firntour zur Weissmies – abwechslungsreicher kann Bergsteigen kaum sein. Da gerät die Trauer über die Streichung des Mont Blanc schnell in Vergessenheit, denn wie hat Luis Trenker gesagt: „Das wichtigste beim Bergsteigen ist, dass man lang lebt!“
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