2012: Schneewittchen und ihre sieben Zwerge über alle Berge
Im Allgäu einen Haken geschlagen vom 21.7.-28.7.2012
Zehn kleine Bergler…
Ursprünglich waren wir ja zehn, des Alltags müde, vom Job oder dem Rentnerdasein ausgelaugt.
Per Bahn sollte es stressfrei und bequem am ersten Ferientag nach Oberstdorf zur Allgäuer Alpen-Rundtour gehen, doch noch schlug die nicht abgeschüttelte Verzettelung zu, keiner sah es, keiner merkte es, als Jürgen seinen Bauchladen im Zug nach München hängen ließ, dieweil wir in den Regionalzug umstiegen: Papiere, Geld, Foto etc., der ganze Zivilationsorgkram war weg, und mit ihm der nervenzerrütterte Verlustige, unser Wanderfreund Jürgen, der deprimiert über diese Zerfahrenheit aufgab, bevor es losging, und von Oberstdorf wieder nach Hause fuhr zu unserem Bedauern. So waren’s nur noch neun, denn Antje und Heinz erwarteten uns an der Fellhornbahn.
Uns empfing das diesjähriges Sommerwetter, wolkig verhangen, zum Nieseln neigend.
Von der Station Schlappoltsee über die Obere Bienenwangenalpe unter der Kanzelwand hindurch auf dem Krumbacher Höhenweg zur Kühgundalpe und von dort längs des Warmatsgundbaches am Ende bei intensivem Nieselregen steil und anstrengend empfunden bergauf zur Fiderepasshütte 2067 m, wo die Nebel waberten und wir im Winterquartier außen steil die Stiege hinauf unseren Platz fanden. Bier und Essen nach Karte waren gut, der Wein schmeckte bereits, vom allzu frühen Aufstehen müde und so war uns das Wetter egal für den Abend. Eine erste unruhige Lagernacht konnte beginnen.
Spaßklettersteigrundweg
Die Wirtin riet uns dringend ab, über den Grat zu gehen bei dem nebligen Wetter, da sei erst letztens einer zu Tode gestürzt. Und da wir zwar müde nach der Nacht, aber noch nicht des Lebens müde, liefen wir auch brav außen herum, stiegen ab zur Wannenalpe 1821 m, von da steil, matschig und später auf dem Grat hoch zur Hammerspitze 2170 m, was eine rein sportliche Übung für die Fantasie darstellte, denn was für eine herausragende Sicht hätte man von diesem Berge, wenn nicht das Wolkengewaber um uns wäre..
Will man lieber von innen sich nass schwitzen oder von außen sich durchnieseln lassen, diese Frage fand unterschiedliche Anhänger und manchen Anpasser, der alle fünf Minuten seine Jacke an- und auszog. Mal nieselte es, mal war’s nur feuchter Nebel, mal schien es trocken zu sein. Irgendwann war’s allen egal…
Von der Hammerspitze stiegen wir ab zum Sattel zwischen Kuhgehrenspitze und Hammerspitze, statt auf dem Grat weiterzugehen zur Kanzelwand, der Nebel verleitete uns in eher sichtbare Bereiche. Gegen Mittag hockten wir dann im Panoramarestaurant Kanzelwand, um nicht viel weiter als bis zu unserer Suppe oder unserem Tee sehen zu können selbst mit inzwischen geputzter Brille.
Wetter hin, Niesel her, die Unentwegten wollten klettersteigen, die Unentschlossenen mit sich ziehend und Hannes schwärmte so vom Sportklettersteig, den er bereits mit seinem Sohn mehrfach durchstiegen. So erlebten einige von uns ihren ersten echten Klettersteig und Antje ihre erste Seilbrücke. Nur Bertl, von der Nacht geschafft und bronchitisgeschwächt, kniff, um von oben, von der Kanzelwand dafür einen besten Zuschauerplatz auf die Seilbrückenbalancierer und Muss-das-denn-sein-Juchzer zu haben. Aber allen tat dieser kleine Spaß-Ausflug ins Klettern gut, stählte er doch das Selbstvertrauen der Flachlandtiroler.
Um wie gestern die Runde zur Fidererpasshütte zu schließen, ging’s von der Kanzelwand steil hinab – da tobte sich dann der Bertl aus – zum Krumbacher Höhenweg. Das Wetter wurde freundlich, weite Sicht bis Oberstdorf belohnte die Strebenden, so fiel der Aufstieg diesmal leicht. Der Abend ließ Berge erröten, die Nacht wurd klar und kalt.
Nä, nicht noch ein’ Gipfel!
Bei strahlendem Himmel sollte es von der Fidererpasshütte zur Mindelheimer Hütte auf dem abwechslungsreichen Mindelheimer Klettersteig gehen. Über drei Gipfel, so verkündete es der FÜL, denn er ward vor zehn Jahren schon einmal den Steig abgesaust. Aber wie das so ist mit Erinnerungen, zunehmender Verkalkung und Verklärung… Man schönt.
Und so in unseren Erwartungen falsch eingestellt, erlebten wir die offiziell existierenden drei Schafalpenköpfe als eine unendliche Kette von Gipfeln, die alle erklettert und abgeklettert werden sollten mittels Fels und Draht, Schornsteinfegereisenansammlungen und Leitern. Eine luftige Schlosserei, die zwischen dem offiziellen ersten und zweiten Schafalpenkopf anscheinend ihr Ende fand in einer sanft abfallenden Matte, einem Weg, der direkt hinab zur Hütte führen würde, die man jeden Augenblick um die Ecke zu erspähen hoffte. Doch was war? Wir hatten noch einen Kopf vor uns und schauten seinem Namen entsprechend drein: ziemlich belämmert. „Nicht noch einen Gipfel!“, so stöhnte es. Ein anspruchsvoller, letzte Kräfte fordernder Überstieg und ein steiler Rinnenabstieg am Stahlseil krönten den Klettersteigdurchstieg. Geschafft ward doppeldeutig ausgekostet. Unser Tourengepäck und unser Alter lasteten schwer auf den Schultern.
Nun lag nur noch der Kemptner Kopf vor uns als vorgeblich letzte Prüfung: Und noch ein Gipfel für die des Stipfelgürmens Müden. Rettende Bergrettung in Radlermaßen genossen, stellten die Lebensgeister wieder her.
Aber die letzten Prüfungen hielten Abend und Nacht bereit: Ein den Gipfelanzahlen entsprechendes opulentes Mehrgangmenü wollte bewältigt sein.
Und die Nacht wurde ob der nicht vorhandenen Breite der Lager eine besondere:
Christoph schmuste mit Bernhard, das Bertl im Mittelplatz wurde von seinen beiden Beischläfern synchron geplättet.
Ach, hätten wir doch einen Rappen…
Am dritten Tag fiel unser Klettersteignovize Christoph aus mit dicken Halsweh und Knieproblemen, er stieg ab nach Birgsau und fuhr heim.
Da waren’s nur noch sieben und Antje, die ein Witzbold zu unserem Schneewittchen erhob, wogegen sie sich einen Abend lang sträubte, um am nächsten Morgen zu erkennen, was das für eine Position ihr ermöglichte: Wenn ein Schneewittchen Wünsche äußert, widerspricht Mann als Zwerg doch nicht! So hatten wir in der neuen Konstellation unseren Spaß und Antje, unsere Klettersteigfee ward unter die Männer gefallen, die sich – unbewusst – ihr zuliebe zu benehmen mühten.
Bei schönstem Sonnenschein eine lange Schwitztour von der Mindelheimer Hütte zur Rappenseehütte, 500 m Abstieg bis zum Haidenwanger Bach, wo unsere Schuhstoffel ihren Indianerirrtum erkannten: Noch vor dem Losgehen bemerkte Bernd zum Bertl: „Guck mal, wie der Regen meine Bergschuhe ausgebleicht hat, die hatten doch die gleiche orangene Farbe wie deine, und jetzt sind sie gelb…“ Beide waren zu müde, um irgendwie dieses Phänomen zu verstehen. Doch unten am Bach löste sich das Rätsel, an Jürgens Füßen fanden sich die orangenen Bergschuhe wieder. Was macht der kleine Unterschied von anderthalb Größen auch aus… Wir hatten herzhaft zu lachen: Urteile nie über einen Mann, in dessen Mokassins du nicht einen Tag lang gegangen bist…
Nun, über diese wechselseitigen Beurteilungen nach alter Indianerweisheit schwiegen sich Bernd und Jürgen allerdings uns gegenüber aus.
Auf dem Felsband hoch zum Schrofenpass, über sonnendurchflutete Matten zum Salzbücheljoch, zur Oberen Biberalpe, hier hatte sich unsere Wandergruppe schon längst in einzelne Grüppchen unterschiedlicher Verfassung und Tempi aufgelöst, durchs Mutzentobel, dessen Wegspur vom gestrigen Regen z.T. abgerutscht war, über Schafalpe, Seehütte bis zu den sauer werdenden letzen Aufstiegmetern zur Rappenseehütte, wo jeder eintrudelte mit dem Gefühl, es reicht für heute. Nur noch Energie für Bier und Körperpflege blieb, gerade rechtzeitig durchlaufen, bevor die Bundeswehr mit einem waffenlosen Panzerbataillonsauszug zu Fuß einrückte. Ein Abendgewitter kündigte den nächsten Wetterumschwung an.
Alle Wetter
Gewitter und Starkregen weckten uns bereits frühmorgens, es hielt sich in wechselnden Schüben bis gegen Abend, eine dampfende Wetterküche, die ab und zu geflutet wurde, hin und wieder nieselte, aber Wogendes, Wölkendes, Waberndes, Wallendes im Übermaß bereit hielt.
Die trotzdem zum Heilbronner Höhenweg Aufgestiegenen kehrten allesamt um, auch die mannhafte Truppe tauschte Kampfgeist mit Vernunft und gab auf, denn oben in der Steinscharte soll diese ihrem Namen alle Ehre machen, mit Murren und Steinen um sich werfen, der Weg momentan unpassierbar sein.
Zwei Dumme, ein Gedanke: Der FÜL brütete vorne, der später noch zum Ehren-Hilfs-FÜL (je länger der Titel, desto unbedeutender die Person) ernannte, des Kartenlesens Kundige fassten unabhängig voneinander die Lösung für den Tag: Abstieg nach Birgsau, Busfahrt nach Oberstdorf, per Seilbahn zum Edmund-Probst-Haus, das wir ohnehin morgen anlaufen wollten. So fielen der Heilbronner Höhenweg, die Mädelegabel und die Kemptner Hütte „flach“.
Da glitschten, rutschten, schurrten wir hinab zur Enzianhütte, zur Petersalpe, wo Bernd und das Bertl ein Erinnerungsradler aus dem Wassertraufbecken tranken, waren sie doch schon einmal im Aufstieg bei ähnlicher Waschküche hier eingekehrt.
Ab Einödsbach regnete es, dräute gleichzeitig in den kleinen Pausen, um so pünktlich, gerade als die letzten Wanderer von uns das kleine Bushäuschen in Birgsau erreichten, sich mit der gesammelten Kraft zu entladen: Man hätte draußen im Stehen ertrinken können. Ein Bach durchtoste das Bushäuschen, menschliche Nähe wurde neu erspürt im dichten Gedrängel der Schutzsuchenden.
In Oberstdorf fuhr die Nebelhornbahn wg. des Gewitters nicht, wir kehrten ein und trafen auf eine dynamische Bedienung, die doch sehr unseren Geduldsfaden zu strapazieren verstand.
Endlich fuhren sie wieder, die Gondeln. Doch machten sie es spannend, nur bis zur Vorderen Seealpe. Da war erneute Gewitterabwartepause. Schließlich kamen wir oben an, um uns nahezu als einzige Gäste einzuquartieren in zwei netten Stübchen mit einzelnen Betten, welch ein Luxus, und uns trocken zu legen von diesem Regentag. Es klarte auf, und es lag nicht nur am Williams und Enzian.
Bei schönstem, nicht zu heißen Sonnenwetter knapp vor der ersten Seilbahnfuhre stiegen wir ein in den Klettersteig des Hindelanger, der seinem Namen als Gratklettersteig, weitgehend ohne Stahl und Eisen bis auf ein paar Leitern und versierte Abstiege entsprach: Man musste also gehörig hinlangen, um hinauf und hinab zu kommen. Selbst unser „Opa“, unser altgedientes Klettersteigross entdeckte für sich dabei Neues: Gratgehen geht auch, man muss keinen Felsen vor sich haben, um sich sicher zu fühlen, da genügen zwei fußbreit unter den Sohlen.
Wenn die Perlenkette hinter uns nicht wäre, deren Glieder zum Glück nicht drängelten, wäre dieser Klettersteig ein luftiger Schauplatz ohnegleichen nach lechts und rinks.
Ab nachmittags waren wir wieder auf der Hütte und badeten im Touristenstrom, der den Nebelhornrundweg und die Restaurationen bevölkerte.
Es gab abends Sonnenuntergang für diejenigen, die sich noch ein wenig zu bewegen wussten und romantische Anlagen noch in sich spürten, ansonsten Wein.
Ein ausklingender Faulenzertag, an dem Heinz abhob und entschwand
Vorweg: Er kehrte aber wieder; und wie! Aber der Reihe nach:
Wir waren einen Tag früher mit unserem Programm durch. Und was kann man anderes als den Hindelanger da oben noch „machen“? Der Kartenkundige schlug ahnungslos und naiv einen „Ausflug“ zum Rubihorn vor, der als Aussichtsberg vielversprechend eingezeichnet war. Da müsste man doch nur – nahezu auf gleicher Höhe – zum Geißfuß rüber, von da zum Gaisalphorn….
Ja, nur… Es entpuppte sich als steiler, versierter Abstieg in den Grund, den Wasserläufen, die vom Nebelhorn kommen, sowie als 200 m Aufstieg zum Sattel unterm Geißfuß. Hier streikte die auf Spaziergang eingestellte Hälfte, setzte sich ins Gras und klärte biographische Vergangenheiten und beziehungsmäßige Zukunftskonstellationen.
Die Unentwegten gaben noch nicht auf trotz schwüler Sonnenhitze, kämpften sich auf steilstem Pfade zum Gaisalphorn hinauf, um dort den weiteren Weg zu überblicken: Der erweist sich als überraschend anspruchsvoll, ein ausgesetzter Gratweg, z.T. mit kurzen Klettersteigversierungen dazwischen. Angesichts der voranschreitenden Zeit und da wir Heinz Vorhaben nicht verpassen wollten, gaben wir auf.
Der Genuss vom Alphorngipfel entschädigte durchaus für die entgangenen Mühen.
Oberstdorf zu Füßen, Modelleisenbahner unter uns ließen imaginierend Züge ein- und ausfahren, kleinster als Minitrix, im Süden als Horizont die Allgäuer Alpenkette, über uns, unter uns kreisten – nein, nicht die Geier – die Gleitflieger und wenn es dem Menschen gegeben wäre, ohne Hilfsmittel zu flattern und zu gleiten, wären wir von da dem alten Menschheitstraum unweigerlich gefolgt und ins Tal entglitten.
So schleppten wir uns in Sonnenglast zurück zur Hütte, versammelten uns nach einem Radler und Süppchen kollektiv, um Heinz zu bewundern.
„Was ich noch nicht erlebt habe, will ich noch erleben“, so sein Motto und diesem getreu hatte er gestern einen Tandemflug bei den Paragleitern per Handschlag gebucht, hüllte sich, als sein Pilot mit der Ausrüstung erschien, ganz selbstverständlich in den dargebotenen Overall, ward eingeklinkt, der Schirm entfaltet, das Tandem lief ein paar Schritte und schon hoben sie ab und entschwebten zu Tale, Heinz als fliegender Bergsteiger.
Wir harrten, ernteten mit unserer Geduld einen strahlenden, in seinem Glück schwelgenden Oldtimerheinz, der uns begrüßte mit seiner Erkenntnis: „Ich bin so blöd, – Pause, – dass ich das nicht schon früher gemacht habe…“
Und so bleibt uns Heinz Vorbild und Ansporn: Noch viele Grenzen, innere, gilt es zu überwinden, jede Tour hält neue dazu bereit.
Der Hüttenabend verlief friedlich, eine überlastete Hüttenmannfrauschaft machte 21.30 Uhr Feierabend bei voller Hüttenbelegung, so ward unserer Abschlussfeier ein ziviler Charakter verliehen.
Die Bahn macht’s möglich
Abreise erfolgte problemlos, wir schwebten mit der ersten Bahn zu Tale, Antje fand einen Bus, der sie zu ihren Kindern nach Hindelang bringen sollte, Heinz stürzte sich ins Autobahnabenteuer, wir genossen eine ruhige morgendliche Samstagoberstdorfstunde, um dann per Regionalexpress, später per ICE mit sportlichen Wechseleinlagen nach Hilde heim zu fahren, wo das Begrüßungskomitee der Frauen und Töchter und Söhne der Ihren harrte.
Eine schöne, herausfordernde Woche lag hinter uns, gelungen geplant vom FÜL (= Fachübungsleiter Bergsteigen) Bernhard und notiert von dem Skribenten Bertl, redigert und erweitert von Bärnd.
Mit waren außer den leider in Verlust Geratenen Jürgen und Christoph noch Antje, Hannes, Heinz, Jürgen und Robert.
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