Handstreich im Wallis – Zwei Viertausender an einem Tag

Gerade aus Peru zurückgekehrt, sollte es doch möglich sein, ohne Akklimatisationstour auf hohe Berge in den Alpen zu steigen. So denken sich Jan Oliver und ich, als wir die Idee haben, nach nur einer Woche daheim erneut aufzubrechen. Ziel soll das Wallis sein, genauer die Mischabelgruppe oberhalb von Saas Fee.
Wir brechen um 11:00 Uhr von Campingplatz in Saas Grund auf, fahren per Bus nach Saas Fee und lassen uns bis zur Hannigalpe mit der Seilbahn transportieren. Von hier sind es laut Führer drei Stunden bis zur 3340m hoch gelegenen Mischabelhütte.
Leider entwickelt sich das Wetter nicht wie vorhergesagt. Stattdessen quellen überall dicke Wolken, die alle Gipfel sowie auch schon die Hütte einhüllen. So schlagen wir ein flottes Tempo an, da ich keine Lust verspüre nass zu werden. Gerade rechtzeitig vor dem Regen und nach rekordverdächtigen zweieinviertel Stunden sind wir am Ziel.
Der Wirt ist offensichtlich nicht sehr begeistert darüber, dass wir uns selbst versorgen wollen. Angesichts der Schweizer Hüttenpreise und des durch die Peru-Expedition doch knapp gewordenen Budgets eines angehenden Studenten haben wir nämlich unser Gepäck um Benzinkocher und Verpflegung für einen Tag erweitert.
Der Rest des Tages vergeht damit über den Wetterbericht zu schimpfen und mit Spekulationen, ob er denn wenigstens morgen mit der Realität übereinstimmen wird. Denn eines ist klar: für die geplante Tour, nämlich den ONO-Grat auf die Lenzspitze und die anschließende Überschreitung des Nadelgrates zum Nadelhorn, benötigen wir unbedingt gutes Wetter. Beide Teile dieser großartigen Überschreitung sind mit „ziemlich schwierig“ bewertet. Dabei handelt es sich um kombiniertes Gelände mit Kletterpassagen im unteren IV. Grad und Eispassagen bis zu 45 Grad Neigung. Laut Führer sind bei guten Verhältnissen insgesamt rund neun Stunden zu veranschlagen. Bei schlechtem Wetter kann dieses Unternehmen schnell sehr ernst werden.
Nun, zuerst müssen wir die Nacht überstehen. Wie üblich, werden alle Hüttenbesucher in möglichst wenig Lager gesteckt, so dass wir kaum Schulterbreite zum Liegen haben. Dafür ist es so heiß im Lager, dass wir die Decken gar nicht benötigen!
Endlich ist es kurz vor 4:00 Uhr, und wir können aufstehen. Ein Blick nach draußen zeigt mir sternenklaren Himmel. Um 4:40 Uhr brechen wir auf, leider nur mit einer Stirnlampe, da Jan Oliver seine im Tal vergessen hat!
Bis zum Ende eines steilen Geröllhanges in 3600m gehen wir gemeinsam mit anderen Gruppen.
Hier teilen sich die Wege: fast alle steigen zum Windjoch auf, um den Normalweg auf das Nadelhorn zu gehen.
Wir folgen zunächst einer Firnrippe, die uns an den Beginn des Felsgrates der Lenzspitze bringt. Ein gutes Stück weiter oben erkennen wir einige Stirnlampen, also sind wir zumindest nicht die einzigen auf dieser Route. Als wir den Felsgrat erreichen, können wir auch auf die Stirnlampe verzichten.
Zunächst ist der Grat einfach, dann beginnt die Kletterei an griffigen Schuppen auf der rechten Seite. Wir kommen den vor uns Kletternden immer näher und überholen schließlich eine italienische Seilschaft. Kurz vor der Schlüsselstelle, dem großen Gendarmen, erreichen wir eine französische Seilschaft.
Hier packen wir das erste Mal das Seil aus. Es sollen die einzigen 50m bleiben, die wir bis ins Windjoch angeseilt gehen! Die Kletterei ist super, und das Seil wäre auch hier nicht nötig gewesen.
Vom Gendarmen seilen wir ab und erreichen kurz danach den sog. „Frühstücksplatz“ in ca. 4100m Höhe. Die Franzosen folgen von hier einem nach links ziehenden und einladend aussehenden Band, von dem im Führer steht, dass es weiter oben in sehr brüchige Felsen führt.
Nach kurzem Zweifel entschließe ich mich dem Führer zu trauen und steige gerade hinauf und nach rechts in eine Gratlücke. Es geht tatsächlich gut, steil aber griffig. Am Grat selbst sind dann nur die ersten Meter unangenehm, weil plattig und mit etwas Firn durchsetzt. Dann geht es leicht weiter bis zum Firngrat, wo wir wieder auf die Franzosen treffen.
Dieser Grat verläuft am Rand der berühmten N-Wand und ist ca. 45 Grad steil. Wir finden gute Stufen in dem fast blanken Eis vor, weswegen wir diese Passage problemlos gehen können.
Um 9:00 Uhr sind wir auf dem Gipfel und genießen aus 4294m Höhe eine phantastische Aussicht. Da wir noch viel Arbeit vor uns haben, bleiben wir nur 15 Minuten, bevor wir mit der Überschreitung des Nadelgrates beginnen.
Der erste Teil ist ein Firngrat, also bleiben die Steigeisen dran. Dann geht es wieder in die Felsen und hinunter ins Nadeljoch (4213m). So langsam macht sich bei uns beiden die Anstrengung bemerkbar. Aber es stehen uns noch etliche Türme bevor. Immer wieder heißt es, im III. Grad hinaufzuklettern und dann entweder abzusteigen oder abzuseilen.
Schließlich sind wir um 11:45 Uhr auf dem Gipfel des Nadelhorns (4327m). Inzwischen quellen die Wolken ganz mächtig. Unverständlich ist uns, dass immer noch Seilschaften über den Normalweg, der leicht ist und nur ca. zweieinhalb Stunden benötigt, hinaufkommen.
Ziemlich platt machen wir uns um 12:00 Uhr an den Abstieg. Ohne Probleme erreichen wir im sulzigen Firn das Windjoch, wo wir uns anseilen, um den spaltenreichen Hohbalmgletscher zu überqueren.
Um 14:20 Uhr sind wir wieder an der Hütte, gönnen uns eine Bouillon und beginnen um 15:15 Uhr mit dem langen Abstieg nach Saas Fee. Inzwischen regnet es, begleitet von gelegentlichem Donnern.
Nach insgesamt 2500m Abstieg und mit schmerzenden Knien kommen wir um 18:00 Uhr in Saas Fee an, erwischen bald einen Bus nach Saas Grund und beschließen diesen traumhaft schönen Tag im Restaurant mit einer ausgiebigen und guten Mahlzeit.
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